Die lokale Stromerzeugung an Gebäuden mit erneuerbaren Energien ist ein bedeutsamer Schritt hin zu klimapositiven Gebäuden. Hinzu kommen flankierende Maßnahmen, wie die Verringerung des Energiebedarfs für Strom und Wärme. Mit einer steigenden Energieeffizienz von Gebäuden, wächst auch die Bedeutung des Energieaufwands zur Herstellung und Entsorgung der Bauprodukte, der grauen Energie. Zu diesen und weiteren Themen haben wir Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen — DGNB e.V., befragt.
Interview mit Dr. Christine Lemaitre, DGNB
Welche Bedeutung haben Gebäude für den Klimaschutz?
Einen ganz entscheidenden. Wenn man betrachtet, wie hoch der Anteil der verursachten CO2-Emissionen, des Energie- und Ressourcenverbrauchs von Gebäuden ist, wird dies mehr als deutlich. Umso wichtiger, dass wir dies als Chance betrachten und Gebäude für Gebäude die Potenziale ausschöpfen. Es gibt keinen Grund weiter abzuwarten. Jeder kann an seinem eigenen Gebäude anfangen und sich auf den Weg Richtung Klimaneutralität machen.
Wie wichtig ist es, den Energieaufwand für Herstellung und Entsorgung der Bauprodukte zu betrachten?
Für eine umfassende Betrachtung der Ökobilanz eines Gebäudes ist das enorm wichtig. Je effizienter die Gebäude werden, umso größer wird der Anteil der CO2-Emissionen eines Gebäudes, der aus der Herstellung und Entsorgung der Bauprodukte resultiert. Außerdem ist es ein wichtiger Schritt, um eine ehrliche Bewertung der Klimawirkung eines Gebäudes zu ermöglichen. Dies geht nur, wenn auch wirklich der gesamte Lebenszyklus betrachtet wird und da gehören Bauprodukte mit der durch sie verursachten grauen Energie nun mal dazu.
Ehrliche Klimabewertung von Gebäuden nur mit Einbeziehung der grauen Energie
Kann jedes Gebäude einen Beitrag zum Klimaschutz leisten? Und wie steht es um den Altbaubestand?
Unbedingt, ja. Und sogar besonders im Bestand, da der Anteil an Neubauten in Deutschland nur verschwindend gering ist und damit auch die Hebel und Herausforderungen im Bestand ungleich größer sind. Entscheidend ist es zunächst überhaupt festzustellen, wo ich mit meinem Gebäude aktuell stehe in meiner CO2-Bilanz. Davon ausgehend gibt es zahlreiche Optimierungsmöglichkeiten. Mit jeder davon, leistet man bereits einen kleinen Beitrag. In unserer Publikation „Klimapositiv: Jetzt!“ beleuchten wir genau das. Wir nennen konkrete Handlungsfelder zur Optimierung. Als Grundlage zur Erstellung einer gebäudeindividuellen Klimaschutzstrategie. So gelingt es jedem, wichtige Schritte auf dem Weg in die Klimaneutralität zu gehen. Und das in einer wirtschaftlich sinnvollen zeitlichen Abfolge.
Klimaneutrale Gebäude benötigen lokale Stromerzeugung
Welche Rolle spielt dabei die lokale Stromerzeugung mit Photovoltaikanlagen?
Gebäude können nur klimaneutral oder klimapositiv werden, wenn sie selbst Energie erzeugen. Das ist eine einfache bilanzielle Rechnung. Insofern nimmt die Stromerzeugung am Gebäude, z.B. über Photovoltaik, eine ganz entscheidende Rolle bei dieser Energie- oder Klimawende ein.
Was macht ein klimapositives Gebäude aus?
Ganz platt gesprochen ist es ein Gebäude, das mehr CO2 einspart – durch am Gebäude erzeugte Energie, die ins Netz eingespeist wird – als es selbst über den Energieverbrauch in der Nutzung verursacht. Wenn wir uns den Bilanzrahmen des Gebäudebetriebs anschauen, geht es um die Differenz der Verbräuche und Einsparungen für ein konkretes Betrachtungsjahr. Es ist also keine Gebäudeeigenschaft, sondern ein bilanzielles Ergebnis. Heißt auch: Um klimapositiv zu bleiben, muss man kontinuierlich auf die eigenen Verbräuche achten und effizient sein. Schafft man es im Laufe der Zeit, so viel CO2 zu kompensieren, dass sogar der graue Rucksack an CO2-Emissionen, der in der Konstruktion steckt, ausgeglichen wird, ist ein Gebäude komplett klimapositiv. Wichtig ist uns als DGNB, dass ein Ausgleich über den Zukauf von CO2-Zertifikaten nicht möglich ist.
Gebäude spielen künftig größere Rolle als Energieproduzent
Welchen Beitrag kann die Photovoltaik-Anlage am Gebäude zu klimapositiven Gebäuden leisten?
Wie erwähnt, ist die eigene Energieproduktion ein Schlüssel auf dem Weg zu klimapositiven Gebäuden. Insofern kann man den Beitrag nicht groß genug einschätzen. Es sollte aber immer einhergehen mit Maßnahmen zur Reduzierung des eigenen Stromverbrauchs und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz.
Ein Blick in die Zukunft: Wie sieht die Energieversorgung von Gebäuden in 20 Jahren aus?
Zu sehr sollten wir den Blick in die Kristallkugel nicht bemühen, aber sicherlich wird der Anteil an erneuerbaren Energien deutlich zugenommen haben und Gebäude viel selbstverständlicher als Energieproduzenten verstanden werden. Wie schnell diese Entwicklung sein wird, hängt von einer Reihe von Faktoren ab, etwa den (förder-)politischen Rahmenbedingungen.